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Es war der beste alle Flüge, es war der schlimmste aller Flüge


Wenn Sie ein echter Oldtimer-Flugzeugfan sind, kennen Sie eventuell das Casa Grande Fly-In, das jedes Jahr südlich von Phoenix, Arizona stattfindet. Da wollte ich schon immer einmal dabei sein. 1987 schließlich ergab sich eine Gelegenheit. Meine Anreise war sehr schön, aber recht unspektakulär. Ich nahm einen Linienflug nach Phoenix und, man glaubt es kaum, ein anderer Passagier, der in meiner Nähe saß, trug eine Krawatte mit kleinen, darauf abgebildeten Flugzeugen. Nachdem ich ein Gespräch mit ihm begonnen hatte und wir gelandet waren, nahm er mich in seinem Mietwagen mit zum Fly-In, wo er ebenfalls hinwollte.

 

Der Fly-In war dann genauso wie man es sich immer wünscht. Herrliches Wetter, wunderschöne Wüstenlandschaft, jede Menge farbenprächtiger Oldtimer und das Beste: eine Schar alter Flieger, die herumsaßen und Geschichten erzählten! Als ich es eine Woche später schließlich nach Hause schaffte, erzählte ich Bill, daß ich etwa ein Dutzend neuer Kumpels hatte, und keiner davon war jünger als 60."

 

Das Spannendste war die Heimreise. Mein Freund Art und seine Verlobte Betsy waren auch beim Fly-In. Er war in seiner Cessna 180 gekommen, einem Blecheimer mit vier Sitzen. Nicht gerade mein Lieblingsflugzeug, aber als Verkehrsmittel sehr geeignet, wenn man schneller reisen möchte als die Autos auf der Autobahn. Als wir an diesem kühlen Sonntag- oder Montagmorgen abhoben, war die Luft frisch, sauber und ruhig. Wir pendelten uns auf einer Höhe von etwa 300 Meter ein und die Wüstenlandschaft sah einfach atemberaubend schön aus! Ich dachte mir noch, das ist der schönste Flug, den du in deinem ganzen Leben jemals hattest! Nahe der Grenze zu New Mexico jedoch kamen wir in einige kleinere Turbulenzen, die in umgekehrt proportionaler mathematischer Beziehung zu meinem Körperlichen Wohlbefinden steht.

 

Als wir am anderen Ende des Universums, in Animas, New Mexico zum ersten Mal anhielten, war es mir genaugenommen ziemlich schlecht. Unsere Freunde John und Louise empfingen uns herzlich und wir verbrachten eine sehr schöne Zeit bei ihnen. Art gab seine Verlobung mit Betsy bekannt und John und Louise erwiesen uns ihre einzigartige Gastfreundschaft. Wir kannten John vom Justin Times Airfield. Er hatte sich relativ viel Land in der Wüste gekauft und dort zwei Hangars, eine Werkstatt und ein großes Blockhaus hingebaut und eine Landebahn angelegt. Genau dort, am anderen Ende des Universums gleich bei Animas, New Mexico. Meine Familie und ich waren einmal dort als wir bei meinen Eltern zu Besuch in Las Cruces waren. Im Stadtzentrum gibt es das „Nightmare Café” [Cafe Albtraum]. Ich erspare ihnen, werte Leser, jetzt weitere Informationen zu diesem Cafe...

 

Zurück zu Art und Betsy. Wir beendeten unseren Besuch bei ihnen und fuhren zur Cessna zurück. Beim Abheben teilte uns Art mit, dass bei El Paso, nahe der Grenze zu Mexiko, eine Jenny zu sehen sei. Diese Besichtigung lohnt sich, dachte ich mir. Der berühmte letzte Gedanke….Die Turbulenzen waren jetzt so stark, dass ich den langen, schmerzvollen Prozess wahrer Luftkrankheit erlitt, den nur diejenigen wirklich verstehen können, die ihn selbst schon durchgemacht haben. Die Symptome verwandeln sich in eine langsame, erbärmliche Abwärtsspirale bis zu dem Punkt, an dem sie außer Kontrolle geraten und das Opfer gerade noch so vor sich hin vegetiert. Druck auf den Ohren, ein seltsames, außerirdisches Gefühl im Hirn, ein nach Luft Schnappen („Betsy, mach das Fenster auf, Shirley braucht frische Luft”), gleichmäßiges Durchatmen und ständig nur der Gedanke „ich werde nicht spucken” im Kopf, tausendmal hintereinander, so wie Bart Simpsons Sätze an der Tafel, schließlich die Bitte um eine Spucktüte, für alle Fälle. („Betsy, reich Shirley mal die Tüte da rüber”)

 

An dieser Stelle (und in allernächster Zukunft) tritt dann diese Gefühl von „Oh Mann, wenn wir jetzt einen Zusammenstoß mit einem anderen Flugzeug hätten, würden wir abstürzen und ich könnte Jesus sehen, das wäre doch toll” ein, weil man wirklich nicht mehr verstehen kann, wieso Leben von Vorteil oder Sterben von Nachteil sein soll. Diese beiden gegensätzlichen Ansichten verschmelzen schließlich in gewisser Weise zu einer Einheit des Jenseits. Und ich dachte nur, „das ist der allerschlimmste Flug, den ich jemals hatte”. Kurz nachdem ich die erste Spucktüte mit all den Gastfreundchaftlichkeiten gefüllt hatte, die uns von John und Louise zuvor serviert wurden, drückte Art nach unten an (bitte keine negativen Gs mehr!) um einen Blick auf die Jenny zu erhaschen. Es war eine häßlich, ganz und gar einfarbig gestrichene Jenny, die an irgendeinem Fleck stand, ganz hoch oben auf einem Mast befestigt, der sich – wie bereits erwähnt – irgendwo and der Mexikanischen Grenze befand. Spaß haben stellte ich mir immer anders vor! Ich warf einen flüchtigen Blick aus dem Fenster, meine Augen trennten sich dabei kaum von meiner Kotztüte, nur um sagen zu können; „Ja, ich habe die ‚Jenny on a stick’, wie die mehr oder weniger bekannte ‚Jenny am Stiel’ auf Englisch heißt, gesehen”.

 

Ich bearbeitete gerade die zweite Tüte, als Art ankündigte, dass wir in West landen würden, einem Flugplatz östlich von El Paso. Okay, wir landeten also und Art und Betsy sprangen aus dem Flugzeug als wäre unsere Reise das reinste Vergnügen. Ich zitterte und klammerte mich an meine Tüte, konnte mich anscheinend nicht bewegen und befand mich in diesem vorhin erwähnten Zustand des Dahinvegetierens. Etwa fünfzehn Minuten später kam Art zurück und fragte: „Willst du nicht aussteigen?” Wahrscheinlich habe ich ihn dann um Hilfe gebeten. Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich weiß nur, dass ich noch sagte: „Danke, dass ihr mich mitgenommen habt, das ist meine Haltestelle. Ich steige aus.” Art begleitete mich zum Büro, wo es ein Sofa gab. Dort ließ ich mich mit meiner Spucktüte eine Weile nieder. Als ihr Flugzeug vollgetankt war und Art und Betsy alles erledigt hatten, verabschiedeten sie sich und hoben in den schönen blauen Himmel ab. Sie wollte noch eine ganze Weile am Rio Grande entlangfliegen und dann Richtung Dallas und Justin nach Osten hin abdrehen.

 

Ich versuchte meine Eltern anzurufen. Nicht da. Wissen Sie noch, meine Eltern, die so weit weg in Las Cruces, New Mexico wohnten. In diesem schönen Haus am Highway 70 Richtung Las Cruces Flughafen, mit einer atemberaubenden Aussicht über die ganze Stadt, die Berge, den Himmel - ich liebe dieses Haus einfach. Aber sie waren nicht zuhause. Ich fragte, ob es einen Bus gäbe, der nach Las Cruces fährt. Wie der Zufall (oder die Hilfe des Himmels in meinem Fall) es so wollten, wollte zufällig ein Autofahrer (Gott sei Dank gibt es Autos) bald nach Anthony aufbrechen. Das liegt zwischen Las Cruces und El Paso. Ich durfte hinten mitfahren. Vielleicht hatte ich auch noch die zweite Tüte bei mir. Der Autofahrer war sehr nett, wollte jedoch unbedingt angeregt mit mir über den Lehrplan an staatlichen Schulen sprechen. Ich wollte mich einfach nur ausruhen. Mich allein auf meine Dankbarkeit über diese Mitfahrgelegenheit konzentrieren und auf die Tatsache, dass ich mich nicht mehr im Flugzeug befand und von Zusammenstößen in der Luft träumte. Bitte zwingen Sie mich nicht dazu, über den Lehrplan an staatlichen Schulen zu sprechen!!! Aber ich musste höflich bleiben. Ich bin mir nicht sicher, ob das, was ich sagte, viel Sinn ergab, aber ich blieb wahrscheinlich höflich. Der nette Autofahrer ließ mich an einem Fastfood-Restaurant aussteigen, wo es eine Telefonzelle gab. Ich versuchte noch einmal, meine Eltern anzurufen. Nicht zuhause. Ich suchte im Telefonbuch nach der Nummer von Freunden meiner Eltern. Nicht zuhause. Hmmm… Ich wartete eine Weile im Restaurant und bemühte mich, nicht allzu reisekrank, obdachlos und beschäftigungslos auszusehen. Dreißig Minuten später erwischte ich schließlich die Freunde meiner Eltern. Sie waren sehr nett und sagten, dass sie es weiterhin telefonisch bei meinen Eltern für mich versuchen wollten. Ich bin nicht sicher, wie das im Einzelnen dann weiterging, aber meine Eltern tauchten letzten Endes auf und nahmen mich mit heim in ihr herrliches Zuhause. Und es gab eine Couch. Habe ich schon erwähnt, wie schön das Haus ist? Jedenfalls fragten meine Eltern nicht nach meiner Meinung zum Stundenplan an staatlichen Schulen oder irgend so etwas. Sie ließen mich den Rest des Tages auf der Couch ausruhen.

 

Am nächsten Morgen schien die Sonne und es war warm. Na ja, in Las Cruces scheint jeden Tag die Sonne und es ist immer warm. Zur Feier des Tages fuhren wir zur Grenze bei El Paso/Juarez und überquerten sie zu Fuß um einkaufen zu gehen! Auf dem Weg gingen mein Vater und ich in ein Reisebüro und buchten einen (Linien-!) Flug für mich, der mich noch am selben Abend nach Hause bringen sollte.

 

Einige Zeit später traf ich mich noch einmal mit Art bei einem Fly-In. Er erzählte mir, dass ihr Flug am Rio Grande entlang sehr ungemütlich gewesen war. Und ich habe eine Kaffeetasse vom Casa Grande Fly-In 1987, die mir sehr viel bedeutet.

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Mudflap Aviation - It was the best of flights, it was the worst of flights